Das Zentralwerk im Dresdener Stadtteil Pieschen blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Derzeit erlebt der ehemalige Fabrikstandort eine Transformation zur Kulturfabrik. Der Ort verbindet Wohnen, Arbeiten, Kunst und Kultur auf einem Gelände. Handwerker*innen, Kulturschaffende und Künstler*innen gestalten ihr Lebens- und Arbeitsumfeld gemeinsam. Förderreferentin Andrea hat das genossenschaftlich organisierte Projekt besucht.
Schon vom S-Bahnsteig aus sieht man den kompakten Gebäudekomplex vom Zentralwerk in Dresden Pieschen. Imposant und auch etwas einschüchternd stehen die zwischen 1939 und 1941 erbauten, als Hochbunker geplanten Türme rechts und links vom Hauptgebäude. Gegenüber steht das Gemeinschaftshaus mit dem Festsaal. Über einen großen Innenhof sind die vier Gebäude miteinander verbunden. Einst wurden hier Näh- und Schreibmaschinen produziert, bis der Gebäudekomplex im Zweiten Weltkrieg zur Rüstungsfabrik umgebaut wurde. Nach dem Krieg nutzten die Grafischen Großbetriebe Völkerfreundschaft die Gebäude bis 1991 als Druckerei. Danach lag der Standort überwiegend brach. Seit 2015 ist die gemeinnützige Stiftung trias Eigentümer des Geländes und überließ es in Erbbaurecht der Zentralwerk Kultur- und Wohngenossenschaft Dresden eG. Zwei Drittel der ca. 5.300 qm großen Nutzfläche werden an Kulturakteur*innen und Initiativen mit Bezug zu Kunst und Kultur vermietet, ein Drittel wird bewohnt. In der Kulturfabrik haben sich derzeit über 60 Künstler*innen, Initiativen und kleine Unternehmen eingemietet.
Als kultureller Arm der Kultur- und Wohngenossenschaft engagiert sich der Zentralwerk e.V. mit seiner Hauptwirkungsstätte im Gemeinschaftshaus des Zentralwerks unter dem Motto: Leben, wohnen, arbeiten. Der Verein setzt dabei auf Selbstorganisation, Vielfalt und Zivilgesellschaft mit dem Ziel, einen Freiraum für selbst gestaltetes Leben, Kultur und Kunstproduktion in Dresden zu schaffen. Gemeinnützig und nicht profitorientiert stellt das Zentralwerk Räume für Kunst und Kultur sowie bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung.
Erste Eindrücke mit Baustellenflair
NEUSTART KULTUR fördert den Zentralwerk e.V. und den farbwerk e.V., einer der Mieter*innen des Kulturzentrums. Für meinen Besuch habe ich mir deshalb vorgenommen, mit beiden Einrichtungen zu sprechen. Den Gebäudekomplex betrete ich an einem herrlichen Spätsommertag im September durch den Seiteneingang mit dem ehemaligen Pförtnerhäuschen. Dieses ist nun umfunktioniert zum „Späti“, um auch die Nachbarschaft in das Leben des Zentralwerks einzubinden. Der Innenhof gleicht zurzeit einer Großbaustelle, überall gibt es Sandberge, Rohre oder andere Baumaterialien, Menschen sehe ich erstmal nicht. Nach meiner Runde über den Hof erscheint Steffen Lewandowski, Verwaltungsleiter des farbwerk e.V., der mich herzlich begrüßt. Dazu kommen Jacqueline Hamann, künstlerische Leiterin des farbwerk e.V., Christian Palmizi, Geschäftsführer des Zentralwerk e.V. und Markus Prodehl, Vorstandsmitglied der Zentralwerk Kultur- und Wohngenossenschaft Dresden eG und Architekt. Der Architekt, der mit ehrenamtlichem Einsatz unermüdlich die Bau- und Umbaumaßnahmen im Zentralwerk plant und managt.
Kulturförderung und Sanierung im Arbeiterviertel Pieschen
Das Zentralwerk hat sich vorgenommen, von den NEUSTART KULTUR Fördermitteln den Kleinen Saal im ersten Obergeschoss des Gemeinschaftshauses zu sanieren. Der große Saal im Erdgeschoss wurde bereits saniert und strahlt im neuen Glanz. Markus führt uns durch den kleinen Saal und erklärt die Umsetzung der Sanierung. Was jetzt noch fehlt, ist die Decke.
Die Sanierungsarbeiten im Kleinen Saal sind noch im Gange
Zwischendurch bleibt Zeit für einen Kaffee und ein Gespräch über das Zentralwerk. Dresden Pieschen ist ein Arbeiterviertel, in dem die große neue Kulturstätte skeptisch beäugt wird. Als zweitgrößtes Sanierungsgebiet Dresdens hat die Stadt die Mischnutzung des Geländes mit Mietpreisbindung und Ansiedlung der Künstler*innen unterstützt. 20 Wohnungen, zum Teil mit Atelier, sind vermietet.
„Die Immobilienmasse dem Markt zu entziehen und sie soziokulturellen Projekten zur Verfügung zu stellen“, war Ziel des Zentralwerk e.V., so Christian Palmizi.
2 Mitarbeiter der Fa. Krug, Steffen Lewandowski, Christian Palmizi, Jacqueline Hamann und Andrea Döteberg (v.l.n.r.) auf dem Gelände des Zentralwerk
Vereinsarbeit, Inklusion und Herausforderungen in der Pandemiezeit
Jacqueline und Steffen zeigen mir die Räume des farbwerk e.V. im Hauptgebäude: Zwei Probenräume und eine Masken- und Kostümwerkstatt. Der Kunst- und Kulturverein farbwerk e.V. für Künstler*innen mit und ohne Behinderung gründete sich im Jahr 2014 aus einer Dresdener Künstlerinitiative, um kulturelle Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderung im Bereich Kunst und Kultur und die Zusammenarbeit mit professionellen Künstler*innen zu fördern. Es bestehen vielfältige Kooperationen wie beispielsweise mit der Bürger:Bühne am Staatsschauspiel Dresden, dem Ensemble El Perro Andaluz, dem Projekttheater Dresden, dem Theater Projekt Zentrum Dresden, verschiedenen Einrichtungen der Behindertenhilfe wie etwa Werkstätten und Wohnheime, sowie diverse Netzwerke mit inklusiven Kultureinrichtungen und Künstler*innen in Deutschland.
Der farbwerk e.V. arbeitet hauptsächlich mit Jugendlichen und Erwachsenen mit körperlichen und geistigen Besonderheiten. Seit 2021 gibt es auch erste Angebote für Kinder. Aufgrund der Einschränkungen durch Corona konnten und wollten viele Menschen mit Behinderung nicht mehr an den Theaterprojekten teilnehmen. Die Organisation der Teilnahme war zu schwierig, da behinderte Erwachsene oft bei den Eltern leben, die entsprechend älter sind und durch die Pandemie in ihrer eigenen Bewegungsfreiheit beschränkt waren. Menschen mit Behinderung, die in Heimen untergebracht sind, durften die Unterkunft oft nicht verlassen oder nur unter strengen Auflagen wie den täglichen Coronatests. So wurde der Kontakt vor Ort zu den Akteur*innen und Künstler*innen des farbwerk e.V. und eine aktive gemeinsame künstlerische Praxis in Gruppen über lange Zeiträume unterbrochen und konnte nach der Wiederöffnung nicht im gewohnten Maß vollständig aufgebaut werden. Große Gruppen sind nach wie vor noch nicht planbar
Dennoch schaffte es der Verein mit sehr viel Engagement und Ideenreichtum seine Arbeit über unterschiedlichste Angebote von Kulturspaziergängen bis hin zu Kunstpaketen und Telefonstunden, Filmprojekten vor der Haustür und Online-Premieren sowie Formate in Kleinstgruppen weiterzuführen. Auch die bereits 2019 neu geplanten Musikformate und neuen Kursangebote konnten mit viel Kreativität und Erfindungsgeist trotz Corona starten. Aus Schnupperkursen wurden Fensterkonzerte vor Wohnheimen und für die geplanten Musikkurse wechselten die Wege ihre Richtung und führten die Musiker*innen zu den Teilnehmer*innen. Neben dem Theaterbereich hat sich trotz aller Schwierigkeiten die farbwerk-Band gegründet und jeden Dienstag probt ein inklusives, experimentelles Improvisationsorchester, dessen Teilnehmer*innen durch musikalische Einzelförderung begleitet werden. Mittwochs wird getanzt, genäht und DJ-Arbeit erprobt. Die Theaterarbeit baut nach und nach wieder größere Gruppen und seine neu entwickelten eins zu eins Tandem-Formate aus.
Ausblick
Um weiterhin Möglichkeiten für inklusive Begegnungen zu schaffen und den Mitarbeitenden und Besucher*innen möglichst sichere Bedingungen zu bieten, erweitert der farbwerk e.V. mit den NEUSTART KULTUR Fördermitteln seine Nutzungsfläche im Souterrain des Hauptgebäudes. Der große Probenraum wird mit einer mobilen Trennwand geteilt und erhält einen neuen pflegeleichten Tanzteppich. Außerdem entsteht ein benutzerfreundliches Foyer mit Wartebereich, in dem auch eine Indoor-Teststation untergebracht wird.
Im Mai 2022 erhielt der farbwerk e.V. den Förderpreis der Landeshauptstadt Dresden 2022, herzlichen Glückwunsch!