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Das Programm NEUSTART KULTUR ist eines der wenigen Investitionsprogramme, die ausdrücklich dazu aufgerufen haben, den eigenen ökologischen Fußabdruck bei Investitionen zu reflektieren und gering zu halten. Wir haben vier geförderte Einrichtungen gefragt, wie sie pandemiebedingte Investitionen mit dem Thema Nachhaltigkeit verknüpft haben und vor welchen Herausforderungen sie standen.

Der Verein Galgenberg 2 e.V. hat durch den Bau von Komposttoiletten für den Außenbereich Barrierefreiheit mit Ressourcenschonung verknüpft. Mit dem erweiterten Toilettenangebot hat der Verein gleichzeitig die Hygieneauflagen umgesetzt. Außerdem hat er das Prinzip „gebraucht statt neu“ konsequent verfolgt, auch bei der Photovoltaikanlage. Dabei ist die Grundeinstellung eindeutig: „Ökolabel? Klar achten wir darauf!“


Komposttoilette des Galgenberg 2 e.V.
© Galgenberg 2 e.V.

Der Verein Kulturgut Freiland e.V. arbeitet nach dem Motto „möglichst viel selbst machen“ und hat auf mobile Lösungen gesetzt, die das Arbeiten im Freien möglich machen und an Dritte verliehen werden können. Investiert wurde in mobile Komposttoiletten, einen mobilen Garderobenwagen und einen Bürowagen. Es wurden Schraub- und Stecksysteme für den schnellen Auf- und Abbau verbaut.

Der Verein Meerkultur e.V. hat über eine stromgeführte Heizung nebst Speicher, die von einer Photovoltaikanlage gespeist werden, zusätzliche Räumlichkeiten für Besucher*innen erschlossen. Damit hat er gezeigt, dass man emissionsarm und platzsparend heizen kann. Ein bereits gedämmtes Gebäude führte zu einem geringen Wärmebedarf, der mit dieser Variante sogar in der lichtarmen Jahreszeit gedeckt werden soll.

Der Verein Zucker e.V. hat nach jahrelangen Zwischennutzungen endlich über einen langjährigen Pachtvertrag einen zentral gelegenen Hochbunker für die Bremer Kulturlandschaft erschlossen. Die Fördermittel von NEUSTART KULTUR setzte er für die Kofinanzierung einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung ein, die die Hygieneauflagen erfüllt.


Photovoltaikanlage auf dem Atelierdach des Meerkultur e.V.
© Meerkultur e.V.

Nachhaltigkeitsprinzipien

Die Beispiele zeigen, dass es gelingen kann, bei Investitionen ganzheitlich zu agieren. So vereint die barrierearme Komposttoilette alle Kriterien einer nachhaltigen Investition: Sie wurde weitestgehend aus nachwachsenden Rohstoffen gebaut, funktioniert ohne Wasser und amortisiert sich damit vergleichsweise schnell. Langfristig führt diese Investition zu geringeren Verbrauchskosten als ein mit Wasser betriebenes WC. Die Berücksichtigung der Wärmerückgewinnung bei einer verpflichtend einzubauenden Lüftungsanlage ist zwar kostenintensiver, senkt jedoch dauerhaft die Kosten für Heizung und Warmwasser. Die Beschaffung gebrauchter Dinge spart Ressourcen und ist mit geringeren Kosten für die Anschaffung verbunden.

Allen Beispielen ist gemein, dass die Einrichtungen die Investitionen entlang eigener Nachhaltigkeitsprinzipien geplant haben: teilen statt besitzen, gebraucht statt neu, möglichst regional, mobil und flexibel, so emissionsarm wie möglich. Dass das Programm NEUSTART KULTUR dies zuließ, empfanden alle als motivierend und bereichernd.

Gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit

Die Arbeit der Förderreferent*innen bezeichneten alle als unterstützend und hilfreich. Es überwog das Gefühl, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und Dinge zu ermöglichen. „Wir haben uns wertvoll gefühlt“, sagen Dilan und Eric vom Kulturgut Freiland. Gleichzeitig sagen sie, dass manchmal noch eine Hemmschwelle bestehe, die Förderreferent*innen bei Fragen zu kontaktieren. Sie seien zu Beginn unsicher gewesen, inwiefern Fragen negativ ausgelegt werden könnten. Insgesamt waren jedoch alle Befragten sehr zufrieden mit der Unterstützung und Beratung durch die Förderreferent*innen. Gleichzeitig waren die formalen Abläufe von Antragstellung bis zum Verwendungsnachweis für ehrenamtlich geführte Einrichtungen nicht immer leicht nachzuvollziehen. Gerade bei Investitionen sei es hilfreich, wenn der Auszahlungsplan nicht vom Programm vorgegeben wird, sondern sich stärker an den Zahlungsanforderungen der durch die Investitionen initiierten Prozesse orientiert.


Photovoltaikanlage des Galgenberg 2 e.V.
© Galgenberg 2 e.V.

Nutzen und Herausforderungen des Förderprogramms

„Dass Investitionen im Kulturbereich gefördert wurden, kam zur richtigen Zeit“, sagt Ida vom Verein Meerkultur. Das Programm reagierte auf die Notsituation, die durch die Pandemie erzeugt wurde, und fokussierte auf den Umbau kultureller Einrichtungen mit dem Ziel, den Publikumsbetrieb trotz Hygieneauflagen zu erhalten. Ein Mitglied des Aktionsteams des Vereines Galgenberg hebt die Flexibilität des Investitionsprogramms hervor. Die Investitionen haben über die Einhaltung von Hygieneauflagen hinaus einen zusätzlichen Nutzen geschaffen. Das Programm habe die Gelegenheit geboten, überhaupt in nachhaltige Sanitäreinrichtungen zu investieren. Das allein sei bereits ein Gewinn, meinen Dilan und Eric vom Kulturgut Freiland. Für die Lüftungsanlage im Hochbunker war das Programm eine zwingend notwendige Investitionsergänzung. Ohne sie hätten die Lüftungsanlage nicht pandemiegerecht erneuert werden können. Die Kosten der Maßnahme überstiegen den Rahmen von NEUSTART KULTUR allerdings um ein Vielfaches, sagt Kriz vom Zucker e.V.

Die Umsetzung der Investitionsmaßnahmen verzögerten sich während der Pandemie aufgrund von Lieferengpässen und Personalknappheit mehr als üblich. Personal- und Materialkosten und -verfügbarkeit, die bei Antragsstellung recherchiert wurden, konnten sich bis zum Zeitpunkt der Durchführung stark verändert haben. Bei einigen Projekten führen veränderte Rahmenbedingungen zu teilweise mehr als 100 Prozent Mehrkosten. Die Folgen waren, dass bei vielen Einrichtungen, die über das Programm gefördert wurden, der Kostenrahmen angepasst werden musste. Teilweise mussten zusätzliche Mittel von anderen Stellen akquiriert werden. Solche Risiken sind generell schwer kalkulierbar, nicht nur bei Investitionen mit Nachhaltigkeitsbezug.

Das Ausmaß an Verzögerungen, Lieferengpässen und Kostensteigerungen, mit denen sich viele Einrichtungen bei der Umsetzung ihrer Investitionsprojekte konfrontiert sahen, war zu Beginn von NEUSTART KULTUR nicht absehbar und erforderte eine besondere Flexibilität in der Umsetzung des Programms. Durch Anpassungen konnten Fristen verlängert und Aufstockungen nachgereicht werden.


Innenraum des mobilen Garderobenwagens des Kulturgut Freiland e.V.
© Kulturgut Freiland e.V.

Weiterer Bedarf an Investitionsmitteln für Nachhaltigkeit

In den nächsten Jahren müssen viele Gebäude mit Kulturbetrieb energetisch saniert werden. Die meisten müssen ihre Heizung noch auf erneuerbare Energiequellen umstellen. Hier ist es ratsam, Förderung, Beratung und konkrete Ausführungsplanung von Sanierungsmaßnahmen enger miteinander zu verzahnen, etwa in Bezug auf Prüf- und Bewilligungszeiträume und im Umgang mit Kostensteigerungen.

Dilan und Eric vom Kulturgut Freiland würden gerne weitermachen: „Wir wollen in Nachhaltigkeit investieren und wünschen uns mehr Förderprogramme, die das möglich machen!“ Dass sich das lohnt, zeigten die Erfahrungen des Vereins Meerkultur bereits im ersten Winter: Dank neuer Heizung und eigener Energieerzeugung seien sie viel resilienter aufgestellt und kamen gut durch die Energiekrise. Entsprechend klar formuliert Ida vom Verein Meerkultur, was sie sich für die Zukunft wünscht: „Es sollte ein Investitionsprogramm aufgelegt werden, um die Umstellung auf erneuerbare Energien und die energetische Sanierung und Wärmedämmung von Gebäuden zu ermöglichen. Es ist wichtig, den Energiebedarf von Gebäuden zu senken. Denn so senken wir auch die laufenden Kosten.“ Die Beispiele haben gezeigt, dass die Bereitschaft groß ist, sich mit nachhaltigen Investitionen zu befassen und die Mittel effizient und kreativ einzusetzen.

Krisen erfordern neue Wege. Beim vergangenen Schwarmwissen haben wir uns über die Strategien in der Krise ausgetauscht. Erfahre, wie Investitionen, Netzwerke und Teamgeist die Krisenfestigkeit soziokultureller Einrichtungen stärken können.

Wir leben in einem Zeitalter der Polykrise. Die Klimakatastrophe, die Pandemie, der Ukrainekrieg, die Flüchtlingskrise, der Energie-Notstand und die Demokratie-Krise sind nur einige Beispiele für die sich gegenseitig beeinflussenden Krisen, die wir erleben. In Zeiten der Krise kommt der Soziokultur eine besondere Rolle zu. Sie fördert den Austausch und die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung. Im Dialog mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen entstehen innovative Lösungsansätze, um den Herausforderungen zu begegnen. Durch kreative und partizipative Prozesse stärkt die Soziokultur das Gemeinschaftsgefühl und fördert die gesellschaftliche Resilienz.

Schwarmwissen: Strategien in der Krise

Um dieser gesellschaftlichen Verantwortung gerade in Krisenzeiten gerecht zu werden, sind die soziokulturellen Akteur*innen darauf angewiesen, neue Wege zu beschreiten. Dies erleben wir hautnah in der NEUSTART KULTUR Förderung. Das Schwarmwissen am 23. Mai 2023 widmete sich diesen neuen Wegen oder, etwas theoretischer ausgedrückt, den Strategien in der Krise.
Die Teilnehmer*innen waren wie üblich in ihrer Ausgangssituation vielfältig. Während ein Schwarmmitglied die nachhaltige Transformation als größte Herausforderung ansah, machten sich andere Sorgen über geringe Teilnehmer- und Vorverkaufszahlen.

Neue Wege

Neue Wege ist Henrike mit dem Literaturnetzwerk Oberschwaben gegangen. Durch die Pandemie-Förderung war es ihnen möglich, Lesungen an ungewöhnlichen Orten abzuhalten. In den Dörfern der Region besuchten sie Schulhöfe, Baustellen und Friseursalons. Viele neue Bekannte und viel Presse begleiteten die Projekte. Hohe Erwartungen wurden mit den geförderten Programmen geweckt. Auch für Henrike stellt sich nun die Frage, wie solche Projekte weiterfinanziert werden können.
Aufmerksamkeit erregten auch die Veranstaltungen von WARRIORS mit Kultur für Demokratie und Menschenrechte in Berlin, wie Werner dem Schwarm erzählt: „Mit der geförderten Technik können wir Veranstaltungen draußen durchführen und mehr Menschen erreichen. Unsere Workshops haben dadurch viel Zulauf bekommen.“
Die NEUSTART KULTUR Förderung des Bundesverbandes Soziokultur hat die Krisenfestigkeit der Szene gestärkt. Claudia hat als Projektleiterin des Programmbereichs Zentren 2 den besten Überblick über die getätigten Investitionen: „Die Investitionen, die durch das Förderprogramm möglich wurden, haben den Einrichtungen geholfen, sich weiterzuentwickeln.“ Aus Außenbereichen, die vorher nicht genutzt wurden, sind attraktive Kulturorte entstanden. Belüftungsanlagen, neue sanitäre Anlagen und Technik in allen Bereichen sind ein qualitativer Entwicklungssprung für die geförderten Kultureinrichtungen. Die Krise als Chance.

Krisenfest

Wie können wir krisenfester werden? Diese Frage war bereits Gegenstand des Schwarmwissens im vergangenen Herbst, bei dem Thomas von der STRAZE in Greifswald ebenfalls teilgenommen hatte. Er berichtete dem Schwarm von den Ergebnissen des vorherigen Treffens. Für ihn ist es entscheidend, dass die Einrichtungen, Besucher*innen und die Politik gemeinsam agieren, um Krisen zu bewältigen. Einrichtungen sollten flexibel auf die Situation und die Bedürfnisse der Besucher*innen reagieren können. Netzwerke und der Austausch von Informationen und Ressourcen stärken die Einrichtungen und helfen dabei, gemeinsam Herausforderungen zu meistern. Ein finanzieller Rückhalt ist selbstverständlich unverzichtbar. Die Partizipation der Besucherinnen ist laut Thomas ein weiterer wichtiger Aspekt der Krisenfestigkeit. Durch eine größere Beteiligung und mehr Gesprächsangebote können sie Interesse an der Einrichtung entwickeln und sich für diese engagieren. Es ist auch wichtig, dass die Politik die gesellschaftliche Bedeutung der soziokulturellen Praxis weiterhin anerkennt. Ihre ideelle und finanzielle Unterstützung gibt den Akteur*innen Sicherheit in schwierigen Zeiten. Etablierte Netzwerke sind auch hier eine wertvolle Unterstützung.

Netzwerke

Die Krisenfestigkeit der soziokulturellen Zentren hängt nicht nur von ihrer individuellen Stärke ab, sondern auch von der Solidarität und Unterstützung innerhalb des Netzwerks. Durch den Austausch von Erfahrungen, Ideen und Ressourcen können sie voneinander lernen und gemeinsam gestärkt aus Krisen hervorgehen.
Netzwerke – zu finanziellen oder ideellen Zwecken – sind überlebenswichtig, darin waren sich die Mitglieder des Schwarms einig. In der Pandemie konnte auf bestehende Netzwerke zurückgegriffen werden, aber auch neue wurden etabliert, wie Werner berichtet: „Im Vernetzen sind wir einfach gut geworden.“ Insbesondere die Partnerschaften für Demokratie des Bundesprogramms Demokratie leben! haben dabei unterstützt. Auch Festivalveranstalter*innen erhalten nun Unterstützung von dem neuen Netzwerk Höme, von dessen Nutzen Silvan vom Auerworld Festival überzeugt ist. Thomas nutzt bei seiner Arbeit kommunale und landesweite Netzwerke und empfiehlt das vom Bundesministerium des Innern geförderte Projekt House of Resources, das Vereine, Initiativen und Migrant*innen-Organisationen in den Bereichen Empowerment, Diversity, Integration und Anti-Rassismus-Arbeit unterstützt. In Oldenburg hat ein Netzwerk der Freien Szene ein Positionspapier zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet und der Stadt vorgelegt, wie Nicola von der Werkschule erwähnt.

Gemeinsam stark

Bei all den vergangenen und kommenden Herausforderungen ist es entscheidend, dass die soziokulturellen Akteur*innen selbst ihren Antrieb nicht verlieren.„Wir haben ein Wohlfühlwochenende organisiert, bei dem es vordergründig nicht um die Arbeit ging. Das hat uns wieder neue Energie gegeben“, erzählt Silvan und Tahlja von Kloster 9 e.V. fügt hinzu: „Wir haben ein Wochenende mit einer theaterpädagogischen Begleitung verbracht, einfach um wieder zusammenzukommen.“ Denn ein motiviertes Team ist das Fundament aller neuen Wege, die beschritten werden.

Am Ende ist eines ist klar: Krisenfest sind wir nur gemeinsam.

Beim vergangenen Schwarmwissen haben sich knapp 30 Teilnehmer*innen zum Thema Arbeit ausgetauscht. Schwarmmitglied Alexander Wilke hat das Hamburger Bündnis KulturWert vorgestellt. Der Bundesverband Soziokultur setzt sich gemeinsam mit den Landesverbänden für ein gerechtes Tarifgefüge ein.

„Das ist ganz schön scheiße mit unserer Bezahlung“, entfährt es einer Teilnehmerin während des vergangenen Schwarmwissen-Treffs. Arbeit lautete das Thema passend zum anstehenden 1. Mai. Faire Bezahlung, Personalgewinnung und Ehrenamt standen dem Schwarm zur Diskussion. Doch schnell wurde klar, dass die angesetzten zwei Stunden nicht für alle Themen reichen werden.

Faire Bezahlung

Da das Thema Faire Bezahlung auch im Verband aktuell diskutiert wird, eröffnete die Geschäftsführerin des Bundesverbandes Soziokultur Ellen Ahbe den Austausch. Frisch von einem Treffen mit den Geschäftsführer*innen der Landesverbände, bei dem Christina Biundo, Leiterin der Servicestelle Kulturelle Bildung in Rheinland-Pfalz, über die neusten Entwicklungen zum Thema Honoraruntergrenzen bei der Bezahlung von Künstler*innen und Corinne Eichner, Geschäftsführerin von STADTKULTUR HAMBURG, über das Bündnis KulturWert berichtete, interessierte sie sich für die Meinungen des Schwarms und kündigte an: „Das Thema Faire Bezahlung ist und bleibt ein zentrales für die Soziokultur, denn die anspruchsvolle Arbeit dieses Fachfelds ist alles andere als selbstverständlich und muss entsprechend vergütet werden. Besonders der Generationenwechsel, der gutausgebildetes, engagiertes Personal nachrücken lässt, macht das Thema zu einem besonders dringlichen und existentiellen. Daher setzt sich der Bundesverband im Schulterschluss mit den Landesverbänden für ein gerechtes Tarifgefüge in der Soziokultur ein.”

Generationenwechsel

Die Soziokultur befindet sich im Wandel. 50 Jahre nachdem engagierte Menschen Orte erobert und dort ihre Vorstellung eines freien und gerechten Gesellschaftsmodells verwirklichten, tritt nun eine Generation in deren Fußstapfen, die der selbstverständlichen Selbstausbeutung ein Ende bereiten will. Denn längst ist die Soziokultur mehr als ein hippie-eskes Gegenmodell zur Hochkultur. Die Soziokultur – und das wurde insbesondere während der Pandemie noch einmal deutlich – übernimmt heute substanzielle Aufgaben der sozialen und kulturellen Daseinsversorgung. Kein Wunder also, dass die „Neuen“ eine angemessene und vergleichbare Vergütung ihrer Arbeit fordern.

KulturWert

Alexander Wilke ist einer dieser jungen und engagierten Menschen, die sich für eine faire Bezahlung einsetzen. Als Schwarmmitglied, Koordinator der Horner Freiheit und Mitinitiator des Hamburger Bündnisses KulturWert – Faire Tarife für alle informierte er die knapp 30-köpfige Runde über die Ziele und den Stand der aktivistischen Bemühungen für eine gerechtere Entlohnung. Mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di und STADTKULTUR HAMBURG fordern sie einen gerechten Tarifvertrag für die Soziokultur der Hansestadt und mehr Geld, um die Bezahlung zu ermöglichen. Neue Tätigkeitsbeschreibungen sollen die tatsächlich geleistete Arbeit in den Zentren abbilden und so eine faire Eingruppierung ermöglichen. „Wir wollen den bestehenden Tarifvertrag in unsere Richtung kippen“, bekräftigt Alex das Anliegen des Bündnisses, das sich als richtungsweisend für das gesamte Bundesgebiet erweisen könnte.
Logo KulturWert

Ausgangslage divers

Naturgemäß war die Zustimmung für eine gerechte Bezahlung der soziokulturellen Arbeit unter den Schwarmmitgliedern groß. In der Diskussion spiegelte sich aber auch die unterschiedliche Ausgangslage in den Zentren wider. Während ein großes traditionsreiches städtisches Zentrum 24 Festangestellte nach Tarif bezahlen kann, kämpft ein anderes auf dem Land angesichts schwindender Förderungen ums Überleben. Doch Imke Freiberg, Leiterin des soziokulturellen Zentrums St. Spiritus in Greifswald und Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes Soziokultur Mecklenburg-Vorpommern, sieht im Unterschied kein trennendes Element: „Man kann Land und Stadt nicht trennen. Schlechte Bedingungen gibt es überall.“ Auch Torsten Wiegel, Geschäftsführer des Steinhaus e.V. in Bautzen und Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Soziokultur Sachsen, unterstützt die Forderung der jüngeren Generation: „Selbstausbeutung war früher normal, die neue Generation will mehr.“ Er gibt aber auch zu bedenken, dass mehr Gehalt eine geringe Zahl geförderter Projekte nach sich ziehen könnte.

Personalgewinnung

Zum Abschluss der Veranstaltung streifte der Schwarm noch das Thema Personalgewinnung. Die unterdurchschnittliche Bezahlung in der Soziokultur stellt eine Herausforderung für die Besetzung offener Stellen dar. Doch bei aller Notwendigkeit einer fairen Bezahlung, ist Geld eben nicht alles, wie ein Schwarmmitglied anmerkt. Flexible Arbeitszeiten, das solidarische Miteinander und die sinnhaften Inhalte und Werte soziokultureller Arbeit sind Alleinstellungsmerkmale, die Bewerber*innen ansprechen und in keiner Stellenanzeige fehlen dürfen.
Mit dem für die Soziokultur fundamental wichtigen Thema Ehrenamt konnte sich der Schwarm bei diesem Treffen nicht mehr beschäftigen. Vielleicht setzt er sich dieses Thema im zweiten Halbjahr wieder auf die Agenda.

Corinne Eichner, Geschäftsführerin von STADTKULTUR HAMBURG und Vorständin des Bundesverbandes Soziokultur, setzt sich für eine angemessene Entlohnung der Beschäftigten und faire Arbeitsbedingungen ein. Am 20. April laden wir euch zu einem weiteren Schwarmwissen-Treff zum Thema Arbeit ein.

Der Soziokultur wird eine große Bedeutung beim Einsatz für den Zusammenhalt der Gesellschaft zugeschrieben. Man traut ihr eine Antwort auf fast alle gesellschaftlichen Problemlagen zu, seien es gelingende Integrationskonzepte, Angebote für Geflüchtete, Programme für die kulturelle Bildung und die Stärkung von Kindern und Jugendlichen, kulturelle Teilhabe, Erinnerungskultur oder Bildung für alle – um nur einige zu nennen.

Komplexe Aufgaben

Doch die materielle und personelle Situation der allermeisten soziokulturellen Einrichtungen ist äußerst prekär und entspricht kaum ihren Leistungen. Ihre Beschäftigten stehen heute hochkomplexen Aufgaben gegenüber, die sie mit ebenso komplexen, professionellen Mitteln bewältigen und für die sie häufig eine akademische Ausbildung oder ein entsprechendes Maß an Erfahrung benötigen. Viele Aufgabenbereiche gehen mit großer Verantwortung einher. Die Bezahlung ist jedoch fast nie mit der Entlohnung in anderen Branchen vergleichbar und entspricht in keiner Weise dem anspruchsvollen Aufgabenprofil. Gibt es eine Anlehnung an ein Tarifsystem, dann an eine der niedrigeren Tarifgruppen. Auch unbezahlte Mehrarbeit ist weit verbreitet. Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld sind alles andere als die Regel. Gleichzeitig führen die vielen Überstunden, die nur zu einem Teil ausgeglichen werden können, zu einer gesundheitsgefährdenden Überlastung. Befristungen sind angesichts der verbreiteten Projektförderungen die Regel. Nach dem aktiven Arbeitsleben und vielen Jahren Engagement droht dann auch noch die Altersarmut. Wie so oft sind die Frauen besonders betroffen, denn sie machen einen hohen Anteil der Beschäftigten in der Soziokultur aus und akzeptieren besonders häufig Teilzeitbeschäftigungen.

Professionelles Engagement kann nicht umsonst sein

Wer sich entscheidet, in der Soziokultur zu arbeiten, will etwas für die Gesellschaft tun und glaubt fest an die positive Wirkung von Kultur, Teilhabe und Zusammenhalt. Menschen, die diesen Weg gehen, sind hoch engagiert, stark intrinsisch motiviert und gewohnt, kreativ und professionell mit begrenzten Mitteln ein Maximum an Wirkung und Programm zu erzeugen. Ich habe im Laufe meiner Arbeit für die Soziokultur viele von ihnen kennengelernt. Sie übernehmen jederzeit auch Zusatzaufgaben und achten selten darauf, ob wieder ein paar Überstunden anfallen. Doch gerade die exzellent ausgebildeten jüngeren Kolleg*innen vergleichen sich irgendwann mit Freund*innen mit gleicher Qualifikation und oft geringerem Verantwortungsbereich und stellen fest, dass sie deutlich kleinere Summen auf ihrem Gehaltszettel finden. Das führt zu Frustration und Empörung und zu einem zermürbenden Gefühl der Ausbeutung.

Der Generationenwechsel verschärft die Lage

Immer schwerer wird es deshalb für die Einrichtungen der Soziokultur, angesichts des Generationenwechsels beim Wettbewerb um qualifizierte Bewerber*innen Nachwuchs zu finden, der unter diesen Bedingungen überhaupt anfangen will. Und diejenigen, die mit viel Enthusiasmus und guter Ausbildung in der Soziokultur in ihr Arbeitsleben starten, geben häufig spätestens dann auf, wenn sie merken, dass Aufstiegsmöglichkeiten und Bezahlung in anderen Branchen deutlich besser sind – und sie mit den gesammelten Arbeitserfahrungen sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Ihr Potential und der Aufwand für ihre Einarbeitung sind dann für die Soziokultur verloren.

Investition in qualifiziertes und leistungsfähiges Personal wird sich auszahlen

Das krasse Missverhältnis zwischen den Erwartungen an die Soziokultur und ihren Ausstattungsbedingungen, zwischen den Ansprüchen, die an die Beschäftigten gestellt werden, und ihrer Entlohnung führt auf lange Sicht zu einer Aushöhlung und Schwächung der Einrichtungen. Besonders in diesen schwierigen Zeiten brauchen wir jedoch eine angemessene und vergleichbare Entlohnung der Beschäftigten und faire Arbeitsbedingungen, damit die Soziokultur ihre immer wichtigeren, weiter wachsenden Aufgaben bewältigen kann. Gerade angesichts multipler Krisen darf deshalb keinesfalls an der Soziokultur gespart werden, es muss im Gegenteil dringend in ihre Förderung und in ihre hochqualifizierten und leistungsfähigen Beschäftigten investiert werden, damit sie ihre große Wirkung für die Kultur und den Zusammenhalt der Gesellschaft entfalten kann.

Schwarmwissen

Wir laden euch ein zum monatlichen Schwarmwissen-Treff zum Thema Arbeit: Wie kann neues Personal gewonnen werden? Wie strukturiere ich ehrenamtliches Engagement zeitlich? Faire Bezahlung und Tarifvertrag, welche Aktionsstrukturen gibt es? Zu diesen und allen weiteren Fragen treffen wir uns am 20. April von 14 bis 16 Uhr zum gemeinsamen Austausch. Die Veranstaltung findet online statt: Zugangslink.


Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form in der Ausgabe 02/2022 der Zeitschrift SOZIOkultur zum Thema Newcomer.

Die 50 Teilnehmer*innen der vergangenen Schwarmwissen-Veranstaltung haben sich über Fördermöglichkeiten ausgetauscht. Wir blicken auf den Online-Treff zurück und geben Link-Tipps.

Ende März haben sich Geförderte bei NEUSTART KULTUR beim Bundesverband Soziokultur und dessen Mitglieder zum Wissensaustausch getroffen. Schwarmwissen nennt sich dieser monatlich stattfindende Online-Treff, dessen Themen die Teilnehmenden selbst festgelegt haben. Dieses Mal schwärmten 50 soziokulturelle Akteur*innen aus ganz Deutschland zusammen, um sich gegenseitig Hilfe beim Durchblicken des dichten und weitläufigen Förderdschungels zu leisten.

Lieber größere Förderungen

So unterschiedlich die Vorerfahrungen, so eindeutig das gemeinsame Ziel: Langfristige Förderung, die eine verlässliche Grundlage für einen kontinuierlichen Kulturbetrieb bildet. Strukturförderung wäre ideal, Projektförderung jedoch die Regel. Ein Tipp eines Teilnehmenden: „Lieber größere Förderungen beantragen, denn kleinere lohnen sich nicht wegen des Aufwands.“

Administrativer Aufwand lohnt sich

Der Aufwand vieler Förderprogramme ist für die meisten Schwarmmitglieder ein Problem. Eine Teilnehmende berichtet, dass ihnen geraten wurde, wegen des administrativen Aufwands Europagelder erst ab vier Festangestellten zu beantragen. Eine andere Teilnehmerin pflichtet ihr bei: „Wir saßen drei Monate mit drei Festangestellten an einem EU-Antrag.“ Förderung macht Arbeit, das Wissen auch unsere Geförderten, aber die Arbeit zahlt sich aus.

Politische Netzwerkarbeit wichtig

Gerade auf kommunaler Ebene können Kultureinrichtungen von politischen Kontakten und Netzwerken profitieren, berichten Schwarmmitglieder. Der Berliner Quartiersrat sei ein positives Beispiel für Beteiligung und Mitgestaltung auf kommunaler Ebene.

Auf Landesebene setzen sich in unserem Verband die jeweiligen Landesverbände für eine zeitgemäße und angemessene Förderung der Soziokultur ein. Der Bundesverband Soziokultur übernimmt dies auf Bundesebene. Wenn ihr über die Verbandsaktivitäten auf dem Laufenden bleiben wollt, könnt ihr den Newsletter des Bundesverbandes abonnieren.

Links zu Kulturförderungen

Ob Kommune, Land, Bund und EU – manche Töpfe stehen der Soziokultur offen. Den Richtigen zu finden, ist oft nicht einfach. Hier findet ihr Portale und Websites, die euch bei der Suche unterstützen:

Europa fördert Kultur

Förderdatenbank des Bundes

Landesverband Soziokultur Mecklenburg-Vorpommern

Andere Landesverbände geben auf ihren Webseiten meist auch Tipps zu Förderungen.

Newsletter des Bundesverbandes Soziokultur

Das Göttinger “boat people projekt” lebt Diversität in allen Bereichen – von der Bühne über das Publikum bis hin zur Leitungsebene. Welchen Herausforderungen das Team dabei begegnet, davon berichtet Theatermacher Reimar de la Chevallerie.

Das boat people projekt ist ein als Verein und Kollektiv organisiertes Freies Theater in der Göttinger Weststadt. Seit 2009 steht politisches Theater zu den Themen Flucht und Migration auf dem Spielplan. Damals arbeiteten die Theatermacherinnen und Gründerinnen Luise Rist und Nina de la Chevallerie vor allem mit Geflüchteten zusammen und brachten gemeinsam deren Fluchterfahrungen auf die Bühne und an die Öffentlichkeit. Auch Theatermacher Reimar de la Chevallerie war damals schon beteiligt und erinnert sich: “Durch die Residenzpflicht war es sehr schwierig, mit Geflüchteten aus den umliegenden Städten zusammenzuarbeiten.“ Als im Zuge der großen Migrationsbewegungen im Sommer 2015 wieder viele professionelle Theatermacher*innen aus Syrien oder dem Irak nach Deutschland kamen, wollten auch die großen städtischen Theater Ensembles mit Geflüchteten gründen, berichtet de la Chevallerie. „Wir waren damals sozusagen bereits Expert*innen für die Zusammenarbeit mit Geflüchteten und viele kamen auf uns zu und haben uns nach unserer Expertise gefragt.“

Der Werkraum: Die Werk- und Wirkstätte des boat people projektes in der Göttinger Weststadt

Soziokultur in der Göttinger Weststadt

Neben den Schauspielproduktionen bietet das boat people projekt heute auch viele soziokulturelle Angebote an. In den sogenannten „Clubs“ für Kinder, Jugendliche oder Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen arbeiten diese gemeinsam an Film-, Musik- und Theaterprojekten. Die Projekte sprechen insbesondere auch Menschen aus den umliegenden Unterkünften für Geflüchtete an. Hier kommen Neu- und Alt-Göttinger*innen zusammen. „Das ist supertoll für den Stadtteil, der in Göttingen oft als ein sozialer Brennpunkt betrachtet wird“, berichtet de la Chevallerie. Das Theater liegt in einem Gewerbegebiet, circa drei Kilometer vom Göttinger Hauptbahnhof entfernt.

Die jungen Eriks sind eine regelmäßige Theatergruppe junger Erwachsener mit und ohne Beeinträchtigungen | © boat people projekt e.V.

Besonders wichtig ist es dem boat people projekt, auch für ein diverses Publikum zu spielen. „In unserem Team arbeitet eine transkulturelle Netzwerkerin, welche gezielt unterschiedliche Publikumsgruppen anspricht und auf unser Programm aufmerksam macht“, erzählt de la Chevallerie. Mit dieser direkten und auf Nachhaltigkeit zielende Ansprache und auch neuen technischen Mitteln, wie den Augmented-Reality-Brillen, durch die eine direkte Übersetzung in verschiedene Sprachen möglich ist, erreicht das Theater mittlerweile Gäste aus vielen verschiedenen Gruppierungen.

Vorherrschende Machtstrukturen aufbrechen

Auch das siebenköpfige Kernteam und die 50 weiteren mitarbeitenden Performer*innen, Musiker*innen und Techniker*innen setzen sich heute aus Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und kultureller Hintergründe zusammen. Viele haben auch selbst eine Flucht- oder Migrationsgeschichte. Um einen Umgang mit nach wie vor bestehenden Hierarchien und Privilegien zu finden, bildet sich das Team in Workshops stetig weiter. Es wird viel über patriarchale und koloniale Machtstrukturen diskutiert und versucht, diese aufzubrechen – nicht ohne sich auch immer wieder selbst kritisch in Frage zu stellen. Reimar de la Chevallerie, der sich als privilegierten weißen Mann bezeichnet, erinnert sich, dass eine Kollegin in einem dieser Workshops einmal zu ihm sagte: „Ich habe das Gefühl, dass deine Stimme immer doppelt so viel zählt.“ Dem Theatermacher hilft dieser Austausch, sein Verhalten und die Struktur im boat people projekt zu ändern.

Die Kinder des Kinderclubs profitieren vom bunten Kostümfundus des Theaters | © boat people projekt e.V.

Diversität auf allen Ebenen

Reimar de la Chevallerie setzt sich mit dem deutschen Kultursystem auseinander, in dem, wer Geld und Macht hat, auch die Themen bestimmen kann. Er findet: „Diversität muss es auch auf Leitungs- und Regieebene geben, sonst ändert sich auch in den Besetzungen nichts.“ Und so versucht das Freie Theater bewusst Regie- und Leitungspositionen mit unterschiedlichen Perspektiven zu besetzen. So wird auch mit verschiedenen Formaten und ästhetischen Formen experimentiert. Zudem wird die eurozentrische Sichtweise auf gesellschaftliche Probleme reflektiert und versucht, das eigene Programm hinsichtlich Themen und Stückauswahl zu dekolonisieren. “Hier in Göttingen haben wir das Glück, etwas unter dem Radar zu sein und auch mal etwas ausprobieren zu können.“

Das boat people projekt ist für ihn und die 50 Kolleg*innen zu einem Ort geworden, an dem sich vieles in Kooperationen und dem gemeinsamen Schaffen ausprobieren lässt. Für die Förderprogramme würde Reimar sich wünschen, dass es für solche Prozesse des Experimentierens mehr Zeit gäbe, um sich zunächst kennenzulernen, um Barrieren zu benennen und abbauen zu können. Dafür müssten die Förderzeiträume für Produktionen verlängert würden.

Reimar de la Chevallerie mit dem geförderten E-Lastenrad vor dem Werkraum

Mit professionellem Equipment durch die Pandemie

Die NEUSTART KULTUR-Mittel haben dem boat people projekt in der Pandemie sehr geholfen. „Wir hätten schon irgendwie auch ohne weiter machen können. Draußen mit zwei improvisierten Lampen vielleicht. Aber durch die Förderung konnten wir eben wirklich professionell weiterarbeiten“, freut sich de la Chevallerie. Neben den Scheinwerfern halfen auch Outdoor-Boxen und ein Outdoor-Mischpult, die Proben und Aufführungen ins Freie zu verlegen. Und das grüne E- Lastenrad samt Fahrradanhänger machte den Transport zu den neuen Veranstaltungsorten um einiges nachhaltiger.

 

Ingrid Ebinal ist Vorstandsmitglied der LAG Soziokultur Schleswig-Holstein und Geschäftsführerin des Kulturbahnhofs Viktoria in Itzehoe. Wir haben mit ihr über die hohen Energiepreise und ihre Auswirkungen auf soziokulturelle Zentren gesprochen. Wir führten das Interview am 13. Dezember 2022.

NEUSTART KULTUR: Liebe Ingrid, wie viel Krise kann die Soziokultur noch ertragen?

Ingrid: Es ist ja die ureigene Aufgabe der Soziokultur, Krisen zu bewältigen. Und es gab ja auch schon viele Krisen, in denen sie sich als sehr resilient erwiesen hat und gestärkt daraus hervorgegangen ist. Die Soziokultur selbst wird das überwinden. Aber die derzeitigen Krisen – zuerst Corona und jetzt die Energiekrise – gehen eben auch an die Substanz einzelner soziokultureller Zentren. Einige werden das nicht überleben. Also insofern kann die Soziokultur eigentlich nichts mehr vertragen.

Das ist ja vor allem die aktuelle Energiekrise. Welche soziokulturellen Zentren sind von den höheren Energiepreisen besonders betroffen?

Im Großen und Ganzen kann man sagen: alle Veranstaltungshäuser. Das heißt, soziokulturelle Zentren, in denen zum Beispiel Konzerte und Theaterstücke stattfinden, die also große Hallen bespielen und beheizen müssen. Gerade wenn man Theater macht, dann gibt es ja nicht nur den Tag der Aufführung, sondern es gibt auch die Probentage und viele Nebenräume, die man ebenso beheizen muss. Wer eine Halle für 500 bis 1000 Leute hat, der kann sich in diesem Winter arm heizen. Und es gibt einige große Häuser bei uns in Schleswig-Holstein. Die JugendAkademie in Segeberg zum Beispiel hat elf Räume mit insgesamt 1500 Quadratmetern zu bewirtschaften, dort hat sich der Gaspreis um 650 Prozent und der Strompreis um 350 Prozent erhöht. Da ist unklar, ob die Preisbremse greifen kann.

Wie reagieren die Häuser auf diese Situation?

Zum einen ist vielen Häusern durch die Corona-Zeit das Publikum weggeblieben. Alle haben noch damit zu kämpfen, ihr Publikum zurückzuholen. Wenn man vorher eine Veranstaltung für 500 Leute gemacht hat und jetzt nur noch 100 kommen, dann kann man das nicht mehr finanzieren. Von einigen weiß ich, dass sie ganz kritisch ihre Veranstaltungspläne durchgucken und auch Veranstaltungen streichen, wenn sie sehen, dass nicht ausreichend Publikum zu erwarten ist. Vieles, was man gerne machen würde, bleibt also auf der Strecke. Der andere Punkt ist, dass einige Häuser dazu übergegangen sind, einen Euro zusätzlich für die Energie zu verlangen, damit die Halle beheizt werden kann. Das Publikum macht das wohl auch mit, soweit ich bisher gehört habe.

Publikumsschwund trifft auf Energiekrise. Du hast die dadurch entstandenen Existenznöte schon angesprochen. Wie äußern sie sich in der Praxis?

Durch die Corona-Zeit sind einige Zentren in Existenznöte gekommen, weil sie so lange, lange Schließzeiten hatten. Sie konnten zwar Fördergelder für die Wiedereröffnung bekommen, aber wir müssen auch sehen, dass diese eher in den Städten beantragt werden. Auf dem Land gibt es viele kleine Zentren, die komplett ehrenamtlich geführt werden. Sie sind gar nicht in der Lage, sich so viel Kenntnis zur Förderpolitik anzueignen, um sich damit helfen zu können. Einige sind wirklich komplett an den Rand gefahren und haben jetzt die Energiekrise obendrauf. Manche sagen: „Wir brauchen eigentlich gar nicht wieder zu öffnen, das macht gar keinen Sinn, wenn wir nicht irgendwo eine institutionelle Förderung bekommen.“ Bei uns in Schleswig-Holstein bekommen nur 50 Prozent aller LAG-Mitglieder öffentliche Gelder. Die andere Hälfte unserer Mitglieder, wozu auch wir, der Kulturbahnhof Viktoria, gehören, hat keinerlei institutionelle Förderung. Wir sind auf Projektgelder angewiesen, bei denen es schwierig ist, zusätzliche Energie- oder Heizkosten abzurechnen. Oftmals ist das gar nicht möglich.

Da scheint die Politik gefragt. Was erhofft ihr euch aus dieser Richtung?

Es ist gut, wenn der Bund Gelder bereitstellen will. Aber das Antragsprozedere sollte so schlank wie möglich gestaltet werden. Es sollte keine komplizierten Formulare geben, wo jeder gleich kapituliert. Und es muss eine gute Beratung angeboten werden. Das wird ja durch die Landesverbände auch geleistet werden, aber man darf nicht vergessen, dass es auch kulturelle Einrichtungen gibt, die nicht bei uns organisiert sind. Deswegen müssen die Anträge einfach verständlich und schlank konzipiert sein.

Kommen wir zu eurer Situation in Itzehoe. Der Kulturbahnhof Viktoria ist kein Veranstaltungshaus. Ihr macht hauptsächlich Medienpädagogik mit Kindern und Jugendlichen. Wie betreffen euch die gestiegenen Energiepreise?

Wir arbeiten viel mit Schulklassen zusammen. Wir haben ein Radiostudio und arbeiten im Rahmen unserer medienpädagogischen Projekte mit Kindern und Jugendlichen zu Radio und Film, auch in inklusiven Projekten. Wir sind aber nicht in dem Maße energieabhängig wie ein großes Veranstaltungshaus. Hier in unserem Bahnhofsgebäude haben wir außerdem Glück: Strom und Heizung kommen direkt von der Bahn und damit sind wir ohnehin schon günstiger, als wenn wir uns den Strom am Markt besorgen müssten. Aber an unserem Vereinssitz in Burg hat sich der Strompreis locker verdreifacht, die Heizkosten haben sich vervierfacht. Das ist enorm für unseren kleinen Verein.

Ihr habt mit eurer Förderung durch NEUSTART KULTUR in die Digitalisierung investiert – das ist auch ein Stromfresser, oder?

Um die Digitalisierung kommen wir gar nicht herum und wir wollen den Bereich ja auch intensivieren. Und das geht nun einmal nicht ohne Strom. Bei den Energiekosten für die Kurse und die digitale Ausstattung handelt es sich aber wirklich um relativ kleine Posten. Wir haben uns gerade im letzten Jahr mit dem Investitions-Fördertopf einiges an Technik zulegen können, um diesen Bereich professioneller auszurüsten. Und da haben wir vor allem Energiesparsamkeit im Fokus gehabt. Die neuen Lampen zum Filmen sind jetzt LEDs und verbrauchen nicht mehr 1000, sondern nur noch 50 Watt. Wichtig ist vor allem, eine Politik weg von den fossilen Energien zu fordern und uns das auch immer wieder bewusst zu machen, mitzudenken und uns dafür einzusetzen.

Worin siehst du die Resilienz der Soziokultur? Wie schafft sie es, immer wieder durch die Krisen zu kommen?

In Krisen kommt die Soziokultur immer ganz schnell aus den Puschen und sagt: „Mensch, da müssen wir was tun.“ Hier sind Menschen, die sagen: „Wir packen das selber an.“ und „Wir suchen die Gemeinschaft, um das miteinander stemmen zu können.“ Das sind die Urgedanken der Soziokultur und die kommen immer dann am stärksten zum Tragen, wenn die Krisen größer werden.

Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview ist im Magazin SOZIOkultur zum Thema Energie erschienen. Diese und weitere Ausgaben findet ihr auf der Website des Bundesverbandes Soziokultur.

Kulturfonds Energie des Bundes

Mit dem Kulturfonds Energie des Bundes bietet der Bund zusätzlich zu den allgemeinen Entlastungsmaßnahmen gezielte Unterstützung in Höhe von bis zu 1 Milliarde Euro für den Kulturbereich zur Bewältigung der hohen Energiekosten. Weitere Informationen und Anmeldung

Wickelfalzrohre, Luftreiniger und Tontechniker*innen – unsere Förderung ist so bunt, wie die Soziokultur selbst. Unsere Geförderten haben in den vergangenen Pandemie-Jahren angepackt und mit unserer Unterstützung den Neustart möglich gemacht. Mit Kreativität gestalten sie die Zukunft der Soziokultur. Gemeinsam und im Austausch können so auch kommende Krisen bewältigt werden.

Das Team von NEUSTART KULTUR beim Bundesverband Soziokultur wünscht euch Zuversicht, Gesundheit und Frieden für 2023. Wir freuen uns darauf, euch auch im vierten Jahr unserer Förderung interessante Menschen, Geschichten und Ideen rund um unsere Förderung zu präsentieren.

Seit sieben Jahren veranstaltet der Bremer Verein KulturKraken den Wintermarkt „Lichter der Neustadt“. Förderreferentin Pia hat den Markt – der eigentlich ein Festival ist – besucht und sich von Vereinsmitglied Victor Frei die Neuerungen, die mithilfe der NEUSTART KULTUR-Mittel möglich waren, zeigen lassen.

Der Mond leuchtet hell über dem kleinen Park der Wallanlagen in der Bremer Neustadt. Einmal kurz über den Hügel, am weihnachtlich geschmückten Südbad vorbei, sehe ich sie schon von weitem: hochgewachsene, hell erleuchtete, elfengleiche Fabelwesen. Die wunderschönen, in weiß gekleideten und mit Lichterketten geschmückten Kreaturen locken, auf ihren Stelzen balancierend, Vorbeigehende zum Eintritt in den Wintermarkt Lichter der Neustadt.

Leuchtende Fabelwesen auf Stelzen locken die Besucher*innen

Eine Gold werte Förderung in Pandemiezeiten

Die Lichter der Neustadt werden nun seit sieben Jahren vom Verein KulturKraken veranstaltet. Zehn bis 14 hauptsächlich ehrenamtliche Kulturliebhaber*innen stellen hier für zwei Wochen lang ein tolles Programm auf die Beine. Victor Frei, erster Vorsitzender des Vereins, empfängt mich zu einer kleinen Tour am liebevoll mit Lichterketten und Holzschnitzereien verzierten Haupteingang des Marktes. Ich freue mich, die bewilligten Investitionen – von Holzzäunen, über Flammenprojektoren bis hin zu Licht- und Bühnentechnik – jetzt am Ort ihrer Bestimmung im Einsatz zu erleben.

„Also für uns war die NEUSTART KULTUR-Förderung wirklich Gold wert. Ohne hätten wir das alles in dem Maße gar nicht machen können“, erzählt Victor. Er berichtet von den Anfängen des Marktes vor sieben Jahren an der Wilhelm-Kaisen-Brücke, auf einem kleinen Platz vor dem PAPP-Café. Unter Coronaauflagen wäre der Markt, der sich immer größerer Beliebtheit erfreut hat, dort nicht möglich gewesen. Ein Umzug war also notwendig und nach lokaler Recherche wurde schließlich die Fläche vor dem Südbad gefunden.

Unter Einhaltung von Grünflächenschutzmaßnahmen darf der Markt hier nun seit zwei Jahren stattfinden. „Im letzten Jahr hatten wir hier noch lange Schlangen vorm Eingang, wegen der Einlassbeschränkungen. Aber dadurch wissen wir jetzt immerhin, wie viele Gäste wir hatten, das waren 15.000!“, berichtet Victor stolz. Die Förderung kam außerdem zum richtigen Zeitpunkt, ergänzt er. „Das Holz, das wir für die Umzäunung im letzten Jahr gekauft haben, hätten wir uns in diesem Jahr gar nicht mehr leisten können, wegen der gestiegenen Preise.“

Victor Frei von den KulturKraken

Kleine winterliche Alltagsflucht für Alle

Wir schlendern über den Markt, vorbei an bunten Buden und in Regenbogenfarben angestrahlten Bäumen. Hoch oben funkeln Diskokugeln und legen einen Zauber über die fröhlichen Gesichter der Besucher*innen. Mit den Lichtern der Neustadt wollen die KulturKraken ein kostenloses winterliches Kulturprogramm für alle anbieten. Der Markt soll eine Alternative zu kommerziellen Weihnachtsmärkten sein und ist bewusst nicht religiös. Victor erzählt, dass sie sich mittlerweile mehr als Festival verstehen: „Das ist hier ein Ort, um einfach mal ein bis zwei Stunden oder mehr dem Alltag zu entfliehen.“ Deswegen haben sich die KulturKraken auch dazu entschieden, den Holzzaun, der das Gelände einrahmt, trotz weggefallener Besucher*innenbeschränkungen stehen zu lassen. „Dieser Zaun macht hier so eine schöne Dorfatmosphäre.“

Im Festival-Dorf wird den Besucher*innen von 16 bis 22 Uhr einiges geboten: In selbstgezimmerten und individuell gestalteten Verkaufsständen laden lokale Kleinunternehmer*innen und Privatpersonen zum Stöbern ein. Heute gibt es hausgemachte Marmeladen und Kekse, selbstgenähte Bauchtaschen, künstlerisch-gestaltete Kalender und Poster sowie Schmuck und Gebasteltes. „Die Stände wechseln jeden Tag, so lohnt es sich auch mehrfach vorbeizukommen“, freut sich Victor. An Glühwein und Getränken, Burgern und balinesischem Essen fehlt es ebenso nicht.

Das Kulturprogramm lockt täglich mit einer Live-Band, mit Straßentheater, Artistik oder Zauberei. „Bei der Abschlussveranstaltung wird hier eine Artistin oben in den bunt beleuchteten Bäumen Akrobatik machen“, erzählt Victor. „Natürlich nur ein paar Minuten, wegen der Kälte. Aber das ist trotzdem immer toll.“ Auch die Bands spielen maximal 45 Minuten, damit die Finger der Gitarrist*innen nicht einfrieren.

Frierende Gäste können sich in der Jurte am Kamin aufwärmen. Und wer noch mehr Wärme braucht, für den gibt es sogar eine kleine Sauna, in die drei bis vier Menschen passen. „Die funktioniert auch echt gut. Manche Leute kommen schon im Bademantel her“, schmunzelt Victor.

Der Haupteingang des Wintermarkts Lichter der Neustadt

Licht und Leute

Das Lichtkonzept entwickeln Mitglieder des Vereins. Im Laufe der Jahre haben Victor und die KulturKraken einiges dazugelernt: „Am Anfang haben wir wild irgendwelche Lampen gekauft, so dass es gemütlich aussieht. Die haben wir dann eingelagert und im nächsten Jahr waren sie kaputt.“ Mittlerweile geht das ganze nachhaltiger zu. Sie wissen nun, welche Lampen der Witterung im Winter standhalten und danach auch noch einsatzfähig sind. Mithilfe der NEUSTART KULTUR-Mittel waren solche Lampen erschwinglich.

Leider findet der Markt nicht bei allen positiven Zuspruch. Es hat sich eine Anwohner*inneninitiative aus sieben Ehepaaren gegründet, die sich regelmäßig gegen die Lautstärke beschweren. „Dabei sind wir ja durchaus kooperationsbereit“, erklärt Victor. „Zum Beispiel ist hier direkt gegenüber eine Praxis für Psychotherapie, in der bis 20 Uhr abends gearbeitet wird. Das ist uns so wichtig, dass die ihre sensible Arbeit machen können, dass wir dann eben erst um 20 Uhr mit der Live-Musik starten.“

Auf dem Markt wird es derweil immer voller. Die leuchtenden Elfen auf Stelzen mischen sich in die Menge und begeistern nicht nur die Kinder. Gleich findet noch ein Hip-Hop-Konzert statt.
Die KulturKraken haben hier wirklich eine tolle, farbenfrohe Möglichkeit geschaffen, dem grauen Winteralltag zu entkommen. Die Lichter der Neustadt finden noch bis zum 20. Dezember statt.

Das LOLA Kulturzentrum sorgt seit 30 Jahren für soziokulturelle Unterhaltung im Hamburger Bezirk Bergedorf. Mitgründerin Petra Niemeyer erzählt über ihre linken Anfänge, die Schwierigkeiten der Pandemie und den Wert kultureller Arbeit.

Das Kulturzentrum LOLA feiert im September sein 30-jähriges Jubiläum. Genauso lange ist auch Mitgründerin Petra Niemeyer schon dabei. Ihr soziokulturelles Engagement begann 1979, als die studierte Bekleidungsingenieurin gemeinsam mit Freund*innen das Wutzrock-Festival organisiert hat. Anschließend gründete die Freundesgruppe – allesamt Autodidakt*innen – ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, das heute nach über 40 Jahren ebenso noch besteht. „Dort haben wir die Grundlagen für unsere Arbeit in der Soziokultur gelernt“, erzählt Niemeyer stolz. Bestens gerüstet waren sie also, um schließlich eine der leerstehenden Bergedorfer Polizeiwachen in die LOLA zu verwandeln. Bis heute residiert die LOLA auf drei Etagen im roten Backsteingebäude. Über die Zukunft macht sich Petra Niemeyer trotzdem Sorgen.

Schwierigkeiten in der Pandemie

Derzeit leidet die LOLA weiterhin unter den Folgen der Pandemie. Trotz Wegfall der Einschränkungen bei Veranstaltungen ist man hier noch vorsichtig. Anstelle von 700 Gästen werden zur Disco nur 400 Menschen reingelassen. Und bei Theaterveranstaltungen, die indoor stattfinden, reduziert sich das Publikum leider von selbst. Die Auslastung bei Veranstaltungen liegt im Vergleich zu 2019 oftmals bei unter 50 Prozent. Viele Gäste haben anscheinend immer noch Angst, sich anzustecken, und nach der langen Pause werden Familienfeiern, Geburtstage etc. nachgeholt, von dem Besuch einer Kulturveranstaltung jedoch oftmals abgesehen.
Auch Mitarbeiter*innen für die Veranstaltungen zu finden, war für Petra Niemeyer sehr schwer: „Alle Türsteher waren auf einmal weg! Ganz Deutschland ist ja auf der Suche nach geeignetem Personal, vor allem in der Gastronomie.“ Auch die Auszubildenden in der Veranstaltungstechnik, mit denen sie früher viel zusammengearbeitet haben, sind weggefallen, weil weniger bis gar nicht ausgebildet wurde. Erfahrene Techniker*innen mit freien Kapazitäten sind in diesem Sommer, wie so vieles, eher rar gesät und müssen außerdem höher entlohnt werden.

LED-WandFür gut klingende Veranstaltungen braucht es gute Veranstaltungstechniker*innen

© LOLA Kulturzentrum

Hamburger Engagement gegen die Mangelverwaltung in der Soziokultur

Hinzu kommen die ganz „normalen“ Alltagsprobleme in der Soziokultur: Zu wenig Personal, zu geringe Gehälter, gerade auch für Berufsanfänger*innen und damit einhergehende Nachwuchsprobleme sowie befristete Verträge aufgrund von Projektlaufzeiten. In Hamburg haben sich die soziokulturellen Institutionen nun im Bündnis KulturWert – Faire Tarife für alle zusammengeschlossen und wollen durch Öffentlichkeitsarbeit und Aushandlung mit der Politik, bessere Bedingungen für die Szene schaffen.
Petra Niemeyer kennt diese Probleme aus der Praxis nur zu gut: „Wir betreiben seit 30 Jahren eigentlich Mangelverwaltung. Finanziell und personell. Grundsätzlich brauchen wir mehr Geld. Und auch eine Verstetigung. Also wenn ein Projekt gut läuft, soll es verstetigt werden, anstatt dass immer neue Anträge geschrieben werden müssen.” Niemeyer merkt an: „Es gibt so viele Erwartungen an uns. Der Stadtteilkultur wird eine große Bedeutung beim Einsatz gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft zugeschrieben, weil sie in der Lage ist, Brücken zu bauen. Doch diese Bedeutung findet sich leider oftmals nicht in der Entlohnung der Mitarbeiter*innen wieder.”

LED-WandSonnengelber Schutz bei jedem Wetter: Die neue Hof-Überdachung in der LOLA

© Pia Sollmann

Förderanträge und Bauchschmerzen

Durch die allgemeine Überlastung und die Personalknappheit waren auch die umfangreichen Anträge für die Mittel von NEUSTART KULTUR nicht immer einfach zu bewältigen. „Bundesrecht ist viel schärfer als Landesrecht.“, sagt Petra Niemeyer. Wegen des Vergaberechts hatte das Team oftmals Bauchschmerzen, weil immer die Sorge dagewesen sei, nicht alles richtig zu machen. Zudem war es nicht möglich, verbindliche Kostenvoranschläge zu bekommen, da weder Preise konstant noch Lieferzeiten bekannt waren und sind. Die pandemiebedingte Senkung der Schwellwerte für eine erforderliche Vergabe hat hier offenbar nur wenig geholfen, ursprüngliche Kostenplanungen waren sehr schnell hinfällig, der Eigenmittelanteil dadurch automatisch höher.
Das bei staatlichen Mitteln alles ordentlich kontrolliert und abgerechnet wird, findet Niemeyer richtig, aber der Aufwand stehe oftmals nicht im Verhältnis.
Mit dem Bundesverband Soziokultur als mittelausgebende Stelle war Petra Niemeyer aber dennoch sehr zufrieden: „Das war besser als jede Bundesbehörde oder das Finanzamt. Sie haben ja ein Gefühl für die Arbeit, die wir machen und haben uns stets bestens informiert.“

Auch über die geförderte Hofüberdachung sind Petra Niemeyer und das LOLA Team sehr glücklich. Mit der Bühne können Veranstaltungen jetzt auch bei schlechtem Wetter draußen stattfinden und man kann auch kurzfristig umdisponieren: „Da lacht natürlich mein Herz als Veranstalterin, wenn man alles ganz flexibel und kreativ bespielen kann.“
Die nächsten Probleme wie Inflation und Energiekosten stehen schon vor der Tür. Niemeyer glaubt, dass ihre zehn letzten Berufsjahre die schwersten sein werden. Aber trotz aller Schwierigkeiten, macht die Arbeit ihr und den Kolleg*innen einfach auch extrem viel Spaß – sonst würde das einfach niemand machen.