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tanzbar_bremen e.V. ist ein inklusives Kollektiv für zeitgenössischen Tanz. Sie tanzen überall: auf der Straße, der Bühne, überregional und international. Und das auf Augenhöhe. Auch während Corona.

„Blitzlichter“ entstand als kreative Antwort auf die Corona-Pandemie. Dabei war das künstlerische Format gar nicht als solches geplant, sondern entstand durch die äußeren Gegebenheiten. „Es ging erstmal darum, wie können wir überhaupt weiterarbeiten“, erinnert sich Adriana Könnemann, freie Mitarbeiterin von tanzbar_bremen. Verfügbare Möglichkeiten wurden ausgelotet und genutzt, damit weitergetanzt und performt werden konnte. Für regelmäßige Treffen stand der öffentliche Raum zur Verfügung, das allerdings nur auf Abstand und zeitweise nur zu zweit. Kurze Choreographien sind so entstanden, die eine besondere Nähe zum Alltag der Menschen im Bremer Stadtraum erzeugten. „Es ging nicht um einen Unterhaltungsfaktor, sondern um ein Auftauchen, ein ‚Blitzlicht‘ im Alltag der Menschen“, erklärt Teamleiterin Corinna Mindt.

Begegnung auf Augenhöhe

Corinna Mindt und Günther Grollitsch gehören zu den Gründungsmitgliedern von tanzbar_bremen, ein inklusives Kollektiv für zeitgenössischen Tanz in Bremen, das inzwischen auf ein über fünfzehnjähriges Bestehen zurückblicken kann. Hier entstehen große und kleine Bühnentanzproduktionen, Straßentheaterstücke und Performances im öffentlichen Raum. Zusätzlich gibt es Aufführungen von und für Kinder und Projekte mit Laiendarsteller*innen. Leitbild des künstlerischen Prozesses und der Zusammenarbeit ist dabei die Begegnung auf Augenhöhe, auf dieser Grundlage werden Projekte seit der Gründung in 2009 regelmäßig realisiert, aktuell besteht tanzbar_bremen aus einem mixed-abled Kernteam von acht festangestellten Mitarbeiter*innen sowie einem großen Pool aus freien Mitarbeiter*innen.

Verlässliche Strukturen

Für den Verein war es von Beginn an  eine große Herausforderung , seine Angebote nur dezentral durchzuführen, da keine eigenen Räumlichkeiten zur Verfügung standen. Proberäume mussten temporär angemietet werden. „Barrierefreie Proberäume in Bremen zu finden ist gar nicht so einfach“, erzählt Günther Grollitsch, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter der Kompanie. Denn häufig sind zwar die Veranstaltungsräume barrierefrei zugänglich, nicht aber die Räumlichkeiten, die zum Training und zur Probe genutzt werden. Gerade für niedrigschwellige Kulturangebote ist es jedoch ein wichtiger Faktor, dass verlässliche Strukturen vorhanden sind, dazu gehören ganz praktisch zum Beispiel gleichbleibende Wege zum Training. Verlässliche Strukturen hat tanzbar_bremen aber trotz der prekären Lage auf einer anderen Ebene aufbauen können: Durch die Umsetzung und Konzeption von Modellprojekten im kulturellen Bereich ist ein beständiges Netzwerk aus Tänzer*innen mit und ohne Behinderung gewachsen, das wiederum eigene Themen setzt, neue Projekte entwickelt und damit die Teilhabe stärkt.

Anerkennung und Selbstbewusstsein

Beispielhaft ist da das Bremer Modellprojekt „KompeTanz“ zu nennen, das in den Jahren 2015 bis 2018 durchgeführt werden konnte. Hier wurden junge Menschen mit kognititiver Beeinträchtigung durch Tanz, Sprache und persönliche Coachings begleitet, um auf dem Arbeitsmarkt einen passgenauen Arbeitsplatz zu finden. Zu den Produktionen, die in diesem Rahmen entstanden sind, gehört auch „Ballroom Busters“, die Premiere war 2018 auf dem La Strada International street performance festival in Bremen zu sehen.

BallroombustersBallroom Busters zeigt zeitgenössische Straßentanzkunst über das miteinander Tanzen

© Daniela Buchholz

Der Erfolg des Projekts spiegelt sich auch in dem Selbstbewusstsein, mit dem die Künstler*innen ihrer Umwelt entgegentreten. Neele Buchholz wagte nach der Teilnahme am Projekt den Schritt in die Selbstständigkeit und ist nun als selbstständige Tänzerin aktiv, die in unterschiedlichen Ensembles mitwirkt. Auch Tänzer Oskar Spatz berichtet davon, inzwischen in unterschiedlichen Produktionen mitzuwirken: „Ich finde es schön, wenn man mich als Tänzer anerkennt.“ Und Günther Grollitsch fasst den Prozess zusammen: „Die Professionalisierung geschieht im Tun.”

Niedrigschwelliger Zugang

Dabei ist es eine besondere Aufgabe, potentiellen Förderer*innen die Kulturarbeit mit niedrigschwelligem Zugang zu vermitteln „Ist das, was ihr macht, Kultur oder Soziales?“ ist da häufig die Rückfrage. Auch die Tanzexpertin und Journalistin Elisabeth Nehring benennt dieses eingeschränkte Verständnis der Kulturproduktion in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur: „Während es in Großbritannien eine breite inklusive Tanz-, Theater- und Performanceszene mit verschiedenen Festivals und vor allem einer nennenswerten Förderung gibt, wird in Deutschland das Bühnenschaffen von Menschen mit Behinderungen häufig noch immer als soziale oder therapeutische Arbeit eingestuft.“

Förderprogramme sind wichtige Säule

Passende Förderprogramme sind eine wichtige Säule für die Entwicklung und Umsetzung neuer Projekte, beständigster Partner ist bisher Aktion Mensch. Während der Corona-Pandemie wurde außerdem der Bedarf deutlich, die zusätzlichen Belastungen aufzufangen. tanzbar_bremen beantwortete diesen Umstand mit eigenwilligen künstlerischen Formaten wie den „Blitzlichtern“.

Zusätzlich unterstützten verschiedene Programmteile des Förderprogramms NEUSTART KULTUR, die von unterschiedlichen Richtungen ansetzten, um eine Weiterführung des Kulturbetriebs während der Pandemie zu ermöglichen. Im Rahmen des Hilfsprogramms Tanz konnten über TANZPAKT – RECONNECT die Grundkosten des Vereins gesichert werden. Der lange gehegte Traum einer festen Örtlichkeit ist damit ein Stück näher gerückt. Es konnten vorerst Probenräume in nächster Nachbarschaft der bisherigen Trainingsorte angemietet werden. Das Investitionsprogramm Zentren 2 verbessert dabei mit der Anschaffung von z. B. mobilen Rampen die Zugänglichkeit der Räumlichkeiten. Die Mobilität der Bühnenelemente und des Equipments ermöglicht außerdem einen vielfältigen Einsatz drinnen und draußen, je nach aktueller Pandemielage.

Bei aller Flexibilität ist es dennoch wünschenswert, dass tanzbar_bremen nun auch einen Ort zum Bleiben gefunden hat. So bleibt mehr Energie für die vielen künstlerischen Ideen, die noch auf ihre Umsetzung warten.


Weitere Informationen

Der Artikel beruht auf einer Unterhaltung mit Günther Grollitsch und dem Video kollektiv inklusiv.