In unserer Blogkategorie #projektstimmen kommen über NEUSTART KULTUR beim Bundesverband Soziokultur geförderte Projekte selbst zu Wort.
Auf eine Minute! – Das SCHOTTE- Minutentheater
Seit Beginn der Pandemie konnten viele unserer Gruppen auf unserer Bühne im Haus nicht mehr aufführen – Uminszenierungen auf den nötigen Mindestabstand waren auf Grund der Gruppengröße nicht möglich. Um unsere Darsteller:innen dennoch wieder ins Spiel zu bringen und für sie das Theater als sinn- und selbstwertstiftendes Freizeitangebot zu erhalten, entwickelten wir im Rahmen der Förderung durch NEUSTART KULTUR beim Bundesverband Soziokultur verschiedene pandemiekonforme Spielformate.
Die SCHOTTE in Erfurt ist ein Jugendtheater und theaterpädagogisches Zentrum, das auch soziokulturell wirkt.
Foto © Schotte e.V.
Eines davon war das sogenannte "Minutentheater", ein Straßentheaterformat à la „delivery on demand“ – oder anders: „Die Zuschauer machen Pling - und dann startet das Ding!“ Alle interessierten Darsteller:innen ließen wir kurze Monologe oder Dialoge aus ihren Inszenierungen in ihrer jeweiligen Rolle zeigen - auf kleinen Bühnen, mit Abstand, unter freiem Himmel. Das vorbeischlendernde Publikum war aufgefordert, die jeweiligen Figuren per Fußklingel „zum Spielen zu bringen“.
In der Mix-Version unseres Minutentheaters lieferten sich so zeitgleich zum Beispiel Sommernachtstraums Puck und Oberon ein zauberhaftes Wortgefecht, klagte Hamlets Ophelia den Zuschauern ihr Liebesleid oder holte Moby Dicks Kapitän Ahab zum vermeintlich letzten Schlag gegen den weißen Wal aus.
Bei der Mix-Version des Minutentheaters ergaben sich spannende Wortgefechte zwischen berühmten Figuren der Theatergeschichte.
Foto © Schotte e.V.
Die Zuschauer:innen schienen mal vergnügt, mal nachdenklich, auch ernsthaft bewegt ob dieser kleinen Theater-Kostproben. Deutlich zu spüren war, dass sowohl Spieler:innen als auch Zuschauer:innen die so lang entbehrte gegenseitige Anwesenheit sichtlich genossen. „Jetzt weiß ich, was die ganze Zeit gefehlt hat“, äußerte sich zum Beispiel eine gerührte Zuschauerin. Einer unserer Spieler gab zu: „Ich hatte ganz vergessen, dass Spielen so viel Spaß macht.“
Überraschend war die Resonanz auf das Projekt jedoch auch für uns, denn was wir als “Notlösung“ geboren hatten, entpuppte sich als hervorragende Möglichkeit, um auch „theaterfremdes“ Publikum zu erreichen.
Die SCHOTTE möchte das Format "Minutentheater" auch in Zukunft auf den Straßen Erfurts zeigen.
Foto © Schotte e.V.
Während unseres Antigone-Minutentheaters gab es solch ein Beispiel: Eine Gruppe von Jugendlichen lief vor der Aufführung an den bereits präparierten Minibühnen vorbei. Laut lasen sie sich die Namen der Figuren vor. Nur einer aus der Gruppe erinnerte sich dunkel, dass er in der Schule schon mal etwas über „dieses Antigone“ gehört hatte – kam bei der Nacherzählung jedoch ins Stocken und bemühte dann sogar sein Handy, um die Erinnerung wieder aufzufrischen. Wir rechneten nicht damit sie wiederzusehen, doch offensichtlich war ihr Interesse geweckt: Kurz nachdem die Minutentheater-Vorstellung begonnen hatte, kehrte die Gruppe zurück, um sich dann akribisch durch alle Monologe „hindurch zu klingeln“. Ein toller Erfolg.
Die Zuschauer:innen reagierten mal vergnügt, mal nachdenklich, auch ernsthaft bewegt auf die kleinen Theater-Kostproben.
Foto © Schotte e.V.
Und eine weitere kleine Beobachtung machten wir während dieses Minutentheaters: Ein älteres Pärchen klingelte mehrfach den Dialog zwischen Antigone und Kreon an. Die Figuren stritten darin um die Grundlage rechtschaffenden Handelns: Moral oder Gesetz?! Die Intimität und Nähe des Theatermoments und vielleicht auch das Thema selbst trieben den beiden Zuschauenden auf offener Straße die Tränen in die Augen. Auch für die beiden Darsteller war dies ein emotionaler Moment und eine kostbare Erfahrung, die sie so während einer Vorstellung im Haus, allein auf Grund der dortigen räumlichen Distanz, nicht gemacht hätten.
Wir sind sehr dankbar dafür, dass sich unsere Minutentheater eines so großen Zuspruchs erfreuen und werden sie deshalb wohl auch in Zukunft immer mal wieder auf die Straße bringen – womöglich auch wenn der Spielbetrieb auf der Bühne wieder läuft. Die Förderungen im Rahmen von NEUSTART KULTUR machten die vielen zusätzlichen Proben – zunächst digital und später auch vor Ort – möglich. Die Alternative, gemeinsam auf der Straße zu agieren, wieder in ihre Rollen schlüpfen zu dürfen und die Aufregung vor und die Freude nach dem Auftritt zu teilen, hat unsere Darsteller:innen nach langer Pause wieder neu verbunden. Darüber sind wir wirklich froh.
Um das in unserem Blog entstehende bunte Mosaik aus Portraits und Geschichten weiter zu vergrößern, laden wir alle geförderten Projekte dazu ein, einen eigenen Blogbeitrag auf unserer Webseite zu veröffentlichen. Weiter Informationen finden Sie hier.
Wir freuen uns auf Ihre Stimme!